Leitsatz des Gerichts
1. Weist die Leistung des Auftragnehmers Mängel auf, kann der Auftraggeber auch im VOB/B‑Vertrag einen Anspruch auf Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung geltend machen. 2. Der Auftraggeber beschreibt einen Mangel hinreichend genau, wenn er das zutage getretene Mangelsymptom zum Gegenstand des Mängelbeseitigungsverlangens macht. 3. Eine Beschränkung auf die angegebenen Stellen oder die vom Auftraggeber bezeichneten oder vermuteten Ursachen ist damit nicht verbunden. Diese Ursachen sind vielmehr vollständig erfasst. Die aufgetretene Erscheinung ist nur als Hinweis auf festgestellte Schäden, nicht als Begrenzung des Mängelbeseitigungsverlangens zu verstehen.
Der Fall
Der Auftragnehmer (AN) führt im Auftrag des Auftraggebers (AG) Tischlerarbeiten an einer Wohnungseigentumsanlage aus. Der AN verbaut insgesamt 179 Fensterelemente aus Holz. Nach Abnahme treten an einigen Fensterelementen Farbschäden und Risse im Lack auf. Der AG fordert den AN zur Mängelbeseitigung auf und rügt diverse Mängel an den Fenstern, insbesondere im Dachgeschoss und in einer Wohnung im Erdgeschoss, u. a. Risse in der Beschichtung, Farbablösungen und ähnliche Fehlstellen. Der AN lehnt die Mängelbeseitigung ab. Daraufhin macht der AG Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung an allen Fensterelementen i.H.v. rund 64.000 Euro netto geltend. Das Landgericht verurteilt den AN zur Zahlung des eingeklagten Betrags. AN legt Berufung ein und meint, dass ein Kostenvorschuss max. nur für 34 Fensterelemente verlangt werden kann. An den übrigen Elementen seien die Mängel nicht vorhanden. Zudem habe der AG die Mängelrüge nicht auf alle Fensterelemente, sondern nur auf einzelne schadhafte und genau definierte Stellen bezogen.
Das Urteil
Das OLG bestätigt das Urteil des Landgerichts, da der AG den AN nicht nur zur Mängelbeseitigung an einzelnen, sondern an sämtlichen Fensterelementen aufgefordert hat. In der Rechtsprechung gilt schon seit langer Zeit die sog. „Symptomtheorie“: Hiernach kann der Besteller mit einer hinreichend genauen Beschreibung von zutage getretenen Erscheinungen den Fehler, der der Werkleistung insgesamt anhaftet und der die aufgetretenen Mangelerscheinungen verursacht hat, zum Gegenstand des betreffenden vertraglichen oder prozessualen Verfahrens machen. Eine Beschränkung auf die angegebenen Stellen oder die vom Besteller bezeichneten oder vermuteten Ursachen ist damit nicht verbunden. Die gesamten (möglichen) Ursachen sind vielmehr vollständig erfasst. Die aufgetretene Erscheinung ist nur als Hinweis auf festgestellte Schäden, nicht als Begrenzung des Mängelbeseitigungsverlangens zu verstehen. Der AN muss also den eingeklagten Kostenvorschuss bezahlen.
Praxishinweis Baurecht
Häufig taucht erst in einem Bauprozess die Frage auf, wieweit eine Mängelrüge reicht. Soll das gesamte Werk oder nur einzelne Bauteile von einer Mängelrüge erfasst werden oder nicht? Da die Formulierung einer Mängelrüge also weitreichende Konsequenzen haben kann, sollte sie sehr sorgfältig ausgearbeitet sein. Gern unterstütze und berate ich Sie als Fachanwalt für Baurecht in solchen Fällen. Nehmen Sie hier Kontakt mit mir auf. Quelle: OLG Braunschweig, Beschluss vom 22.02.2022 – 8 U 97/20; BGH, Beschluss vom 02.08.2023 — VII ZR 61/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen) Dr. Frank Biermann Fachanwalt für Baurecht