In einer aktuellen Entscheidung vom 17.05.2023 hat sich der EuGH mit dem Widerrufsrecht, konkret dem Verbraucherwiderruf befaßt. Wenn ein Auftragnehmer seine Leistungen bereits vor Ablauf der Widerrufsfrist erbracht hat und der Verbraucher sodann den Widerruf des Vertrages erklärt, so erhält der Auftragnehmer kein Geld für seine Leistungen.
Der Entscheidung lag ein mündlicher Handwerkervertrag zugrunde, in dem sich der Unternehmen zur Erneuerung der Elektroinstallation im Haus des Auftraggebers verpflichtet hatte. Der private Auftraggeber wurde durch den Handwerker nicht über sein Widerrufsrecht nach Art. 246 EGBGB unterrichtet. Nach Erbringung seiner vertraglichen Leistungen legte der Handwerker die entsprechende Rechnung vor, die der Auftraggeber nicht beglich. In der folgenden Auseinandersetzung trat das Unternehmen sämtliche Ansprüche aus diesem Vertrag an ein Inkassounternehmen ab. Nachdem der Auftraggeber den Widerruf dieses Vertrags erklärt hatte, erhob das Inkassounternehmen Klage auf Vergütung der für den Auftraggeber erbrachten Elektroarbeiten. Das Inkassounternehmen begründet seine u.a. damit, dass trotz des Widerrufes ein Zahlungsanspruch bestehe. Der Ausschluss eines solchen Anspruchs aufgrund der Verletzung der dem betreffenden Unternehmer obliegenden Informationspflicht stelle „unverhältnismäßige Sanktion“ dar. Der Auftraggeber macht seinerseits geltend, dass das Inkassounternehmen, da der abtretende Auftragnehmer es unterlassen habe, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten, keinen Anspruch auf Vergütung der Dienstleistung habe, obwohl diese erbracht worden war. Das Gericht legt den Rechtstreit dem EuGH vor, da die Entscheidung von der Auslegung des Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83 abhängt. Es räumt ein, dass der Verbraucher nach den Bestimmungen des BGB, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassen worden seien, nicht für die vor Ablauf der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistung aufzukommen brauche, wenn der betreffende Unternehmer es unterlassen habe, diesen Verbraucher über sein Widerrufsrecht zu unterrichten. Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob dieser Art. 14 Abs. 5 jeglichen Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausschließt, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags ausgeübt und damit unter Verletzung des vom Gerichtshof als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannten Verbots ungerechtfertigter Bereicherung einen Vermögenszuwachs erlangt hat.
Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i und Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates dahin auszulegen, dass sie einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.
Die Auswirkungen dieser Rechtsprechung für Handwerker können existenzgefährdend sein. Die EuGH-Richter verweisen auf den hohen Rang des Widerrufsrechts für den Verbraucherschutz. Es solle ihnen den Rücktritt von einem Vertrag ermöglichen, den sie unter Druck oder einem Überraschungsmoment geschlossen haben. Dieses hohe Schutzniveau werde unterlaufen, wenn Verbrauchern bei einem zulässigen Widerruf Kosten entstehen, die nach EU-Recht nicht vorgesehen sind. Dies soll auch dann gelten, wenn sie den Vertrag erst nach Abschluss der Arbeiten widerrufen.
Für Handwerker sollte es nach diesem Urteil absolute Priorität haben, ordnungsgemäß – also schriftlich! — über ein bestehendes Widerrufsrecht zu belehren. Das Widerrufsrecht gilt 14 Tage ab Zugang der Belehrung beim Kunden. Fehlt die Belehrung, kann der Kunde den Vertrag 12 Monate lang widerrufen. Liegt eine Belehrungspflicht vor, sollte der Handwerker aus Gründen hoher Transparenz beim Vertragsschluss dies nicht „widerwillig“ sondern durchaus positiv und kundenfreundlich herausstellen.
Achtung: In Fällen, in denen der Kunde die Durchführung der Arbeiten schon vor Ablauf der 14-tägigen Widerrufsfrist wünscht und deren Durchführung ausdrücklich zustimmt, und diese dann auch abgeschlossen werden, erlischt sein Widerrufsrecht. Allerdings muss er zuvor über den Verlust des Widerrufsrechts und dessen Erlöschen in dieser besonderen Konstellation gesondert schriftlich informiert worden sein und dies schriftlich bestätigt haben!
Sie haben Fragen zum Widerrufsrecht oder der Ausgestaltung entsprechender Verträge? Dann freue ich mich auf Ihre Kontaktaufnahme!
Quelle: EuGH, Urt. v. 17.05.2023, Rechtssache C‑97/22 | DC
Dr. Frank Biermann
Rechtsanwalt
Braunschweig